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Der Text des "Mailomat gegen Studiengebühren"

Veröffentlicht in der Rubrik Nachrichten

Unter der Domain www.freie-bildung-ueberall.de konnten Studenten bis zum 15.06.2006 ihren Protest gegen die Einführung von Studiengebühren in Hessen artikulieren. Dazu wurde über den "Mailomat" eine Email an alle hessischen CDU- und FDP-Landtagsabgeordneten geschickt. Die Inhalte der genannten Domain sind aktuell nicht mehr erreichbar, daher veröffentlichen wir hier noch einmal den vorgefertigten Text.


Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

fassungslos habe ich den Entwurf des Studienbeitragsgesetzes des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst zur Kenntnis genommen. Demnach sollen mit Beginn des Wintersemesters 2007/2008 in Hessen erstmals allgemeine Studiengebühren erhoben werden.
Dieses Vorhaben widerspricht sowohl Artikel 13, Absatz 2 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als auch Artikel 59 der Verfassung des Landes Hessen.

Die OECD beklagt schon lange, dass hierzulande viel zu wenig Menschen ein Studium beginnen. Die PISA-Studie zeigt deutlich, dass in Deutschland die soziale Herkunft den Bildungsgrad wie in keinem anderen europäischen Land bestimmt. Studierende aus einkommensschwachen Familien sind an unseren Universitäten deutlich unterrepräsentiert. Trotz BAföG werden viele aus finanziellen Gründen von einem Studium abgeschreckt. Studiengebühren stellen eine weitere Barriere dar und werden die soziale Selektion verschärfen.

Die negative Wirkung von Studiengebühren wird auch durch das vorgesehene Studiendarlehen nicht hinreichend gemildert. Wie eine 2004 durchgeführte Befragung ergab, führt bereits die Aussicht auf Schulden, die sich aus dem unverzinslichen (!) Darlehensanteil des BAföG ergeben, bei vielen zu einem Verzicht auf ein Studium. Die Erwartung, zusätzlich ein Studiendarlehen der Landestreuhandstelle Hessen mit einem Zinssatz von bis zu 7,5 Prozent in Anspruch nehmen zu müssen, wird bei vielen Betroffenen zur endgültigen Entscheidung gegen ein Studium führen.

Darüber hinaus halte ich es für nicht hinnehmbar, Studierende ohne deutschen Pass, Langzeitstudierende, Studierende ab 35 Jahren und Studierende in nicht-konsekutiven Masterstudiengängen von dem Darlehensanspruch auszuschließen. Während Studierende aus EU-Ländern 500 Euro pro Semester zahlen sollen, sieht der Gesetzesentwurf vor, dass die Hochschule von Studierenden aus Nicht-EU-Ländern bis zu 1500 Euro pro Semester verlangen kann. Diese eindeutige Diskriminierung lehne ich ab.

Eine Verbesserung der Studienbedingungen durch Mittel aus Studienbeiträgen herbeizuführen ist nicht nur fragwürdig, sondern auch sozial ungerecht. Aus meiner Perspektive ist eine einkommens- und vermögenssteuerbasierte Hochschulfinanzierung die einzige sozial gerechte Lösung. Besserverdienende sollten durch einen angemessenen Steuersatz zur Finanzierung des Bildungssystems herangezogen werden.

Die Studiengebühren sollen nach den Vorstellungen des Ministeriums der Lehre zugute kommen, wodurch sich angeblich Studienzeiten verkürzen würden. Tatsache ist, dass einkommensstarke Familien die Studienbeiträge ihrer Kinder übernehmen können, während Studierende aus einkommensschwachen Familien gezwungen sind, neben ihrem Studium einer (oft schlecht bezahlten) Erwerbstätigkeit nachzugehen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Dies ist der 17. Sozialerhebung (DSW/HIS) zu entnehmen, aus der ebenfalls hervorgeht, dass das Nachgehen einer Beschäftigung die Studiendauer verlängert.

Letzteres ergibt sich auch daraus, dass auch hessische Studienordnungen für ein in der Regelstudienzeit zu absolvierendes Studium Jahresarbeitszeiten vorsehen, die über (!) der vom Institut Arbeit und Technik (IAT) errechneten gewöhnlichen Jahresarbeitszeit für deutsche Vollzeit-Beschäftigte liegen. Somit müssten dringend Maßnahmen ergriffen werden, um die finanziellen Hürden, die einem erfolgreichen Studium im Wege stehen, abzubauen. Die Kosten für ein Studium durch Studiengebühren zusätzlich zu erhöhen führt dagegen zwangsläufig zu einer drastischen Verschlimmerung der Studienbedingungen.

Überhaupt halte ich es für fraglich, ob durch die Einführung allgemeiner Gebühren tatsächlich die finanziellen Mittel der Hochschulen mittelfristig gestärkt werden. Immer wieder, die Beispiele reichen von Australien über Österreich bis Kalifornien, ging eine Einführung oder Erhöhung von Studiengebühren Hand in Hand mit einer Reduzierung der öffentlichen Mittel. Es ist möglich, dass bereits nach Ablauf des gegenwärtigen Hochschulpaktes (Ende 2010) die öffentlichen Zuschüsse auch in Hessen zurückgefahren werden. Die Hochschulen könnten somit schon zum Wintersemester 2010/2011 gezwungen sein, für die Aufnahme eines konsekutiven Masterstudienganges bis zu 1.500 Euro pro Semester zu verlangen.

Der anerkannte Elite-Forscher und Kenner der internationalen Hochschulszene Prof. Dr. Michael Hartmann rechnet mittelfristig mit Studiengebühren von 6.000 Euro und mehr. Oder können Sie mir garantieren, dass wir von einer solchen Entwicklung verschont bleiben?
Wenn der Hessische Ministerpräsident die Einführung von allgemeinen Studiengebühren mit der Frage rechtfertigt, wie er einer Krankenschwester erklären solle, dass diese mit ihren Steuergeldern die Ausbildung des Arztes bezahlt habe, dann deutet dies tatsächlich auf ein geplantes Zurückfahren der steuerfinanzierten Bildungsausgaben hin. Diese liegen in Deutschland mit 5,3 Prozent des Bruttoinlandproduktes bereits jetzt unter dem OECD-Durchschnitt. Von einem Land, dessen gesellschaftlicher Reichtum von Jahr zu Jahr zunimmt, erwarte ich, dass es die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn ohne Schul- und Studiengebühren sicherstellt.

In dieser E-Mail sind bei weitem nicht alle Gründe dargestellt, die gegen den Entwurf des Studienbeitragsgesetzes sprechen. Es sind aber genug Gründe um Sie dazu aufzufordern, sich entschieden gegen dieses Gesetz zu wenden. Setzen Sie sich dafür ein, dass nicht nur in Hessen sondern auch in den anderen Bundesländern die Einführung von Studiengebühren verhindert wird.

Mit freundlichen Grüßen

Erschienen am .
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